Ungewollte Entschleunigung   

Der Hinterreifen findet keinen Halt auf dem Metall. Gleitet. Rutscht weg. Nach rechts. Alles andere kippt. Fällt nach links. Das Rad. Die Tasche. Ich. Es geht so schnell.

Fahrradunfall. Regen. Schiene. Asphalt. Glimpflich verlaufen. Sagt der Arzt. Frag den Helm doch wie‘s ihm geht. Und der Rest, laut Arzt, „nur“ Prellungen. Ich bin auf der Straße gesessen und habe mich gefragt, warum die Menschen rundherum mir aufhelfen wollen und mir sagen, dass ich doch mal alles bewegen soll. Dann erst machte es Klick. Da spürte ich noch nichts. Aber peinlich war es mir. Ich hätte weinen können. Habe ich vielleicht nachher, sicher. Kleine Wunden bluten saustark. Etwas später spürte ich erst, was sonst noch alles weh tat. Irgendwann, beim Schieben des Rades auf der Westbahnstraße, ist es so richtig eingefahren. Das Unsichtbare tut länger weh.

Glück und Konzept

Ich hatte Glück, mein Helm, und die Straße war für den Autoverkehr gesperrt, wegen eines Flohmarktes. Mein rutschender Sturz fand nämlich erst auf der anderen Straßenseite sein Ende.

So ein Fahrradunfall bremst ganz schön ein. Alles blockiert. Ich kann nicht unterrichten – es wird schnell wieder existenziell – nicht einmal ans Unterrichten denken, obwohl ich die ganze Zeit daran denke, ich kann den Arm nicht heben, kann nicht schreiben, kann also nicht Roman, Kolumne, was auch immer, kann selbst nicht Yoga praktizieren und vieles weitere nicht. Kann nicht auf der linken Seite schlafen. Wache beim Umdrehen auf. Der Schlaf ist ohnehin unruhig, als selbstständige arbeitende Person, Yogalehrer:in. Krank sein. Unfälle. Diese Dinge passieren. Passen aber nie ins Konzept.

Werkzeuge

In meinen Yogastunden spreche ich viel davon, wie wichtig es ist im Moment zu sein, zu bleiben, dorthin zurückzukehren. Besonders natürlich in den Mediationen am Anfang und Ende der Einheiten. Das alltäglichen Leben ist auch immer irgendwie mitgemeint. Und wie sieht es mit mir selbst aus? Phasenweise. Und gerade … Ich hetze von einem Termin zum nächsten, zum Unterricht da, ins Studio dort, von Treffen zu Kaffee, zu woher kommt das Geld als nächstes, zu – ah vergessen, die Mutter anzurufen – bis zu Zeit für die Partnerschaft, Familie, Freund:innen, was ist das? Tanzen, Kino, kann mich nicht mehr erinnern, Theater, was, es sind Festwochen? In Gedanken mindestens schon fünf Schritte weiter, oder fünfzig.

Ich hätte mehr im Moment sein sollen, hätte besser auf mich achten sollen, ich hätte mehr meditieren sollen, ich hätte langsamer fahren sollen, ich hätte, ich hätte, Fahrradkette …

Als Yogalehrer:in hat man wahrscheinlich unzählige Mittel, sie gehört, gelernt, gespürt, geübt, wie man im Moment bleibt, bei sich bleibt, sich Gutes tut, entspannt, sich kräftigt, stärkt, auf den Körper hört, etc.
Die Sache ist nur, egal ob Yogalehrer:in oder nicht, diese Werkzeuge und Hilfsmittel, was einem gut tut, müssen einem genau dann einfallen, wenn man sie braucht. Tja …

Bremse

Sicherlich war die Bremse irgendwie notwendig. Verstanden hätte ich es aber auch anders. Nach einer einwöchigen Zwangspause habe ich wieder zu praktizieren und unterrichten begonnen. Und es in der Sekunde gemerkt, wenn ich vergessen hatte, den Arm nicht zu weit zu heben. So ein Schmerz ist eine ausgezeichnete Erinnerung, wie der Körper funktioniert und wie alles zusammenhängt. Das bringt mich auf die Idee über Anatomie zu schreiben. Bei einem der nächsten Male.

Um die mentale Blockade loszuwerden, bin ich wieder aufgestiegen. Nach Regen macht mir das Fahrradfahren trotzdem noch ein mulmiges Gefühl. Also lasse ich es noch, wenn es nass ist. Beim ersten Unterricht nach der „Pause“ bin ich froh über zwei sehr liebe Menschen. Diese Yogastunde tut mir selbst sehr gut. Ich bin offen und erzähle vom Unfall. Adaptiere meinen Unterricht. Spreche mehr. Zeige Asanas anders vor. Bin mir mehr bewusst, auch weil sich der Arm bei jeder unüberlegten Bewegung lautstark meldet. Bin mehr und mehr im Moment. Schaue auf mich und lächle.

Fahrradfahren, Yoga praktizieren, unterrichten und schreiben wird wieder mehr werden. Ich kann nicht anders. Nur keine Eile. 

Etienne Thierry

INFOS Achtsamkeits- und Meditationstrainer*in

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