Sonnentage   


Es ist zwanzig vor zehn Uhr am Morgen, es hat siebenundzwanzig Grad und ich schwitze bereits nach der kurzen Fahrradfahrt, die ich mittlerweile wieder ohne mulmige Gefühle bewerkstellige. Mir ist richtig heiß, denn die Crux am Fahrradfahren bei solchen Temperaturen ist, so angenehm einem der Fahrtwind auch unters T-Shirt fährt, die bloßen Beine umspült und den Kopf durchlüftet, spätestens beim Absteigen, hat man das Gefühl, dass der eigene Aggregatzustand sich ändert. Von fest zu flüssig. Eine Schicht Sonnencreme macht den Zustand nicht besser. Verklebt eher noch. Ich suche den Schatten der Bäume, versuche mich nur langsam zu bewegen und fächle mir Luft mit den Flyern zu, die ich eigentlich nach der Stunde verteilen wollte. Was soll’s. Ich habe noch Reserve mit. Bevor die ersten Schüler:innen kommen, schaffe ich es im Lotussitz und mit ein paar Minuten Pranayama mich etwas abzukühlen und nicht mehr ganz wie ein geschmolzenes Speiseeis auszusehen.

… let the bliss begin

Nach und nach trudeln die Schüler:innen ein, und ich bin dieses Mal froh, dass keine überpünktlich, eine halbe Stunde früher, hier war, sondern sie erst jetzt einige Minuten bevor’s losgeht erscheinen. Alle suchen sich einen Schattenplatz, wie ich, manche blinzeln gegen das Licht durch die Blätter, schauen sogar, glaube ich, wie der Sonnenstand sich entwickeln wird in den nächsten neunzig Minuten, um währenddessen ihre Matten nicht verrücken zu müssen. Eine Schülerin rollt ihre Matte jedoch genau in der Sonne aus. Sie schaut auch in die Baumkronen, will aber eindeutig nicht von einem Schatten getroffen werden. Sie will sich anscheinend auch bräunen. Was sie nicht notwendig hat, aber gut, das ist ihre Sache. Punkt. Zehn Uhr. Ich beginne. Es gibt immer ein paar Nachzügler:innen, im Schatten wird es nun eng und etwas Unruhe entsteht. Die Frau allein auf ihrer Sonneninsel lächelt dazu nur. Ich hole alle mit einem kurzen Body Scan ab und bringe sie auf die Matten der Tatsachen. 


Im Unterschied zum Studio ist es für viele schwierig, sich im öffentlichen Raum länger zu konzentrieren und in Stille zu sein, geschweige denn ohne Anleitung zu meditieren, auf Grund der vielen Geräusche und Eindrücke, ein Jucken hier, eine Idee einer Fliege da, oder Realität, und vor allem auch geschuldet der oft größeren Anzahl an Teilnehmer:innen, was manchmal Unbehagen oder Neugier erwecken kann. Am Ende der Stunde klappt das Shavasana jedoch trotzdem meistens für viele. Blink three times … 


… when you feel it kicking in 


Bei Yoga im Freien passe ich die Stunden noch mehr an. An die Temperaturen, die Tageszeit, an die Menschen, die kommen, und deren Anzahl. Gerade bei den beliebten, gesponserten Wochenend-Angeboten, welche für Teilnehmende gratis sind, kommen auch viele, die noch nie Yoga gemacht haben, um es sich einmal anzuschauen. Die möchte ich nicht mit einem Hardcore-Akrobatik-Programm überfordern oder gar abschrecken. Umgekehrt will ich sie aber auch nicht unterfordern. Ich möchte, dass für alle etwas dabei ist, sie sich wohl fühlen, eine gute Energie entsteht. Überdies adaptiere ich meine Stunden auch während des Unterrichts, wenn ich merke, dass irgend eine Asana „gebraucht“ wird, oder sie mir für die Teilnehmenden passend erscheint. Abgesehen von den mittlerweile unzähligen Yogastilen, so hat auch jede:r Yogalehrer:in eine eigene Art zu unterrichten. So unterschiedlich wie Geschmäcker. Und das, wie woanders schon geschrieben, ist gut so! 

Solar Power 


Sonnengrüße zum Aufwärmen gibt es, neben einigen Fixstartern, immer. Sie wären heute aber eigentlich nicht notwendig. Die Sonne grüßt ziemlich deutlich. Alle Teilnehmenden schwitzen nach dem zweiten Durchgang. Die Frau in der Sonne glänzt. Beim nächsten hinabschauenden Hund hat sie keine richtigen Halt mehr, ihre Hände rutschen leicht weg. Gemessen an der Häufigkeit der Hunde, adho und urdhva zusammengezählt, bedingt durch die Sonnengrüße am Anfang meiner fast täglichen Praxis und in meinen Stunden, 
könnte ich behaupten, dass bei mir ständig Hundstage sind. Dieser Samstag ist aber wirklich einer. Und ja, ich gestehe, ich bin Fan von mukha shvanasana, egal wo er hinschaut, vor allem wegen der positiven Wirkung auf den Rücken, um nur eine zu nennen, aber ich beschließe es nach der dritten Runde für heute gut sein zu lassen. Ich denke, es sind alle aufgewärmt, so rot wie die Backen meiner Teilnehmer:innen mir entgegen leuchten und so hastig wie sie zu ihren Trinkflaschen greifen und sich die Stirn wischen. Die glänzende Frau lässt dies anscheinend alles kalt, sie rührt sich nicht aus der Sonne und starrt mir mit roter Stirn und angestrengtem Blick entgegen. Kühlende Asanas stehen am Programm. Vorbeugen zum Beispiel, wie Uttanasana, Urdhva Uttanasana, Padangushthasana und Prasarita Padottanasana mit verschiedenen Armhaltungen. Der Kopf der mittlerweile zerfließenden Frau ist bei jedem Hochkommen aus der Position eine Nuance röter und Tomate oder Paradeiser und dann Kirsche, und ich befürchte, dass ihr Kopf gleich explodiert. Sie sieht verbissen, fast wütend aus, so zumindest der Eindruck, ich möchte jedenfalls nicht im Detonationsradius sein, und obwohl ich finde, dass alle hier erwachsen sind und selbst entscheiden können, was gut für sie ist, stoppe ich an der Stelle. 


Licht und Schatten 


Eine Yogastunde im Park, oder am Strand, in der Natur, im Sonnenschein ist für viele Yogapraktizierende in der Vorstellung etwas ganz Besonderes und noch mehr für Menschen, die Yoga nur aus Bildern kennen. Und ja es ist eine wirklich feine Sache. Und dann wiederum, nein, nicht unbedingt, wie ich finde. Auch in diesem Punkt ist das Leben mehr als nur schwarz oder weiß. Schon mal probiert im Baum zu stehen, wenn das Bein glitschig durch Sonnencreme oder Schweiß ist? Am Strand habe ich mich auch schon hin und wieder ziemlich paniert gefühlt. Ich meine nicht das Wiener Slangwort für Rausch. Sondern eher das hiesige Schnitzel als Metapher. Die Kombination von Sonnencreme und Sand, et voilà, bon appétit. Nur, ohne Sonnencreme/ Sonnenschutz geht es auch nicht, für mich zumindest. Und ich bevorzuge Schattenplätze und leichten Wind, nur dann ist das mit dem Schwitzen wieder so eine Sache. Schon mal verschwitzt mit offenen Fenstern gefahren und den Fahrtwind bejubelt? Und am nächsten Tag verflucht? Smiley mit Finger, der aufzeigt. Hier, laut ICH geschrien! Von Insekten, die „nur“ Nerven oder einen bis aufs Blut ärgern wollen, oder den Nachteilen von Sand bzw. Wiese als Untergrund möchte ich hier gar nicht erst beginnen. Die Gelenke melden sich vielleicht lautstark. 


Irritationen 


Ich will der Frau nicht das Rampenlicht nehmen, aber ich hole sie aus der Sonne und bin dabei bestimmt. Es gefällt ihr nicht, das sehe ich ihr an, glaube ich, aber sie sagt nichts, dann bringe ich alle ins Kamel und schicke sie danach in ihre Kindheit, Stirn auf Matte oder Handtuch, um dort zu entspannen. Balasana. Mit den Händen optional nach vorne gestreckt. Wir bleiben am Boden. Pashimottanasana. Allein weil ich das Wort so gerne mag. Baddha konasana. Alle kühlend, beruhigend. Zum Schluss noch die Schulterbrücke, viele glückliche Babies und Supta Matsyendrasana. Und nach ein paar Worten in den aufkommenden heißen Fön, überlasse ich alle dem Shavasana. Nur die Sonnenfrau packt noch davor ihre Sachen und geht ohne mir auch nur einen Blick zu schenken. Ich bin etwas irritiert. 


Ok, denke ich, es ist nicht notwendig, sich zu verabschieden, bei so vielen Teilnehmenden und auch nicht schlimm, vielleicht wollte sie niemanden stören, hatte es eilig, aber herschauen hätte sich doch können, sie musste wohin, zumindest nicken, oder war sie beleidigt, es ging ihr nicht gut, meine Gedanken drehen sich und drehen sich, sie nagen, und zehren, ich suche Antworten, will immer welche, sie taucht in meiner Meditation auf und erst nach einiger Zeit spüle ich all das aus meinem System. 


After Sun 


„Mir ging es nicht gut.“ Eine Woche später. Kurz vor der Stunde. „Ich wollte nur schnell weg.“ Sie rollt ihre Matte nicht weit neben mir im Schatten aus. „Es war mir dann doch 
etwas peinlich, als du mich in den Schatten …“ Sie trägt eine Kappe. „Ich wollte bis zum Urlaub nicht mehr so blass … ich war nicht eingeschmiert. Ich dachte am Vormittag …“ Ein Schicht Crème glänzt weißlich über der braunen Haut. „Vielleicht hatte ich fast einen Sonnenstich.“ „Vielleicht“, wiederhole ich, mechanisch, „fast“, ich weiß auch gar nicht, was ich antworten soll, ich freue mich, dass es ihr anscheinend wieder gut geht. Dann begrüßt mich eine andere Schüler:in, die Sonnenfrau nutzt den Moment und ist schnell zurück auf ihrer Matte, lächelt mich an. Ich nehme das als Dankeschön, ohne dass sie es sagt. Ich beginne die Stunde. 

Etienne Thierry

INFOS Yoga am Strand

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