Meditation & Achtsamkeit (1) 

Gespräche

Shavasana. Ich bin erschöpft. Erledigt. Erleichtert. Mein Körper beruhigt sich. Den Puls kann ich schon seit der letzten Asana nicht mehr spüren. Ich versuche mich also zu konzentrieren. Worauf jetzt? Was? Auf den Atem. Daran festhalten. Fest. Halten. Ich versuche an nichts zu denken. Ich versuche, an nichts zu denken, als den Moment. Und denke, dass, hey, ich denke schon wieder. Verdammt.


„Stell dir vor, nein, achte darauf, wie die Luft durch deine Nase strömt. Nur das. Nur dieses sanfte Fließen. Konzentrier’ dich darauf.“
„Worauf genau?“, fragte ich sie und mich gleichzeitig. Da ist doch nichts. Das geht doch automatisch!
„Konzentrier’ dich einfach nur auf deinen Nasenrücken, oder besser auf die Nasenlöcher und gleichzeitig lenk die Aufmerksamkeit auf deinen Atem“, sagte sie, ich war verwirrt,
„wie er durch die Nasenlöcher einströmen kann. Und wieder rausfließt. Nur darauf.“
„Was denn, keine Bilder, keine Reise, keine Musik, keine Walgeräusche, kein Lagerfeuerknistern, nicht einmal eine Kerze?“
„Nein“, sagte L., „heute nicht.“
„Keine Stimme, die mich leitet?“
„Nein!“, wiederholte sie trocken, fast genervt.
„Das ist aber hart!“
„Ich habe nie behauptet, dass es ein Spaziergang ist!“ 

Anfänge 

Das ist zwanzig Jahre her. Ungefähr. Meine beste Freundin L. praktizierte damals schon ein paar Jahre Ashtanga Yoga und meditierte täglich. Sie war es auch, die mir die erste Yogastunde zum Geburtstag schenkte. Ich hatte davor schon öfters Yogaklassen besucht, die ich zwar gut fand, aber so richtig war der Funke noch nicht übergesprungen. Entweder war ich noch nicht bereit dafür, oder die Art des Unterrichts hat mir nicht zugesagt. Vielleicht war es eine Mischung von beidem. Überdies hat mir damals bei den Lehrer:innen die spirituelle bzw. geistige Komponente gefehlt – was mich im Nachhinein immer noch erstaunt – und für das rein Körperliche, dachte ich mir, kann ich bei Pilates bleiben, was ich zu diesem Zeitpunkt schon einige Jahre machte. Meine Freundin meinte, dass es sich bei diesen Yogaklassen, wie oft auch in Fitnessstudios, nicht wirklich um Yoga handle, sondern eben um Fitness, oder Bewegungsarten, die sich Yoga nennen, was völlig in Ordnung sei, wenn man nur das suche, und weil es auch grad wieder einmal modern sei, wenn ich aber mehr wolle, solle ich es einfach nochmal probieren. In einer „richtigen“ Yogastunde. Und sie versicherte mir, dass das Körperliche zwar sehr präsent, der Einstieg für viele, es aber nur ein Mittel zum Weg sei, der Großteil jedoch aus geistiger und spiritueller Arbeit bestünde. Das war natürlich nicht allzu motivierend, schon gar nicht der Teil mit der Arbeit, aber nachdem ich ihr vertraute, wollte ich es zumindest einmal ausprobieren.

„Ist das nicht langweilig? Der Atem ist doch immer da!“
„Genau deswegen!“ 

„Ist das nicht langweilig? Der Atem ist doch immer da!“
„Genau deswegen!“

Umwege 

Ich war immer schon in Bewegung. Seit meiner Kindheit. Nach einigen Versuchen in diversen Sportarten bin ich als Teenager irgendwie beim Leistungsschwimmen gelandet. Wasser ist mein Element. Später, als erwachsene Person, habe ich Tanz und Tanzen für mich entdeckt. Flüssig sein und flüssige Bewegungen, da wie dort. Was ich jedoch nie mochte, waren Wettbewerb und Konkurrenzdenken. Das hat sich bis heute nicht geändert. Schneller. Höher. Weiter. Da wollte ich nicht mitmachen.

„Routine und Wiederholung“, sagte sie,
„Du musst das Gehirn wie einen Muskel sehen. Üben, üben, üben!“
„Das ist ja wie damals im Schwimmtraining und …“
„Ich weiß, dass Routine nicht den besten Ruf hat, aber sie gibt auch viel Sicherheit, wenn sich alles dreht und man nicht mehr weiß, was man zuerst zu denken, zu erledigen hat, und so weiter.“
„Aber warum soll ich etwas wiederholen, wenn ich es schon kann?“
„Kannst du es immer?“ 

Ein paar Jahre später, während meiner ersten Yogalehrer:innenausbildung in Indien, habe ich mich intensiver und mit unterschiedlichen Arten von Yoga beschäftigt, zur gleichen Zeit etwa hatte ich das Gefühl, dass ich zu wenig beweglich und flüssig bin, vor allem spirituell und geistig. Zusätzlich dazu war mein Leben ziemlich kompliziert geworden.

„Was mache ich genau, wenn wieder Gedanken kommen?“
„Zurückkehren!“ „Ja, aber was mache ich konkret?“
„Dräng sie an den Rand deines Bewusstseins und kehr zurück in den Moment.“
„Aber wie?“
„Stell dir eine Handbewegung vor, die Gedanken zur Seite wischt und …“
„Zurückkehren, ok.“ Leichter gesagt, als getan, dachte ich und wusste, dass ich so nicht weiter kommen würde. Sehr unbefriedigend. Für mich, wo ich immer alles genau wissen will. 
„Aber wie merke ich, wenn ich wieder meinen Gedanken folge …?
„Ah, das ist der springende Punkt. Du merkst es schon. Es ist aber nicht das Wie, sondern das Wann! Ziel ist es, schneller darin zu werden, um zurückzukehren zu dem Moment!“
Ich dachte, sie spinnt. 

Abstände 

Selbstoptimierung ohne Zweck. Nur für das Ego. Ich meine nicht das „gesunde“Ego, das wir brauchen, ich rede nicht von Selbstbewusstsein, von Selbstliebe. Sondern von jenem Ego, das ständig Anerkennung braucht, sich wichtiger nimmt als andere, glaubt etwas besseres zu sein. Deswegen bin ich skeptisch gegenüber all der Selbstdarsteller:innen in den Sozialen Medien, auch im weiten Yogaraum, denn das „Schau her, was ich kann!“ ist oft nichts anderes und fördert nur dieses „übertriebene“ Ego. Dieses loszulassen ist für mich Mediation. Unter vielen anderen Gründen. Schicht für Schicht abzulegen und tiefer zu gehen. Geistig beweglich bleiben, ohne sich messen zu müssen, und trotzdem bei sich zu sein und im Moment. Alles auch Gründe, warum ich zum Yoga kam. Und damit zu Meditation. 

„Manchmal geht es besser, manchmal schlechter. Bewerte dennoch nicht. Schau dir zu. Lächle. Manchmal schaffst du nur drei Minuten, manchmal vielleicht zwanzig und mehr, sofern das Rundherum es überhaupt zulässt, du es zulässt! Jedes Mal wird es anders sein.“
„Aber woran kann ich mich festhalten?“
Diese Frage hatte sie nicht beantwortet.
Ok, dachte ich, mal wieder, und dass ich die Antwort eigentlich weiß! 

Mittlerweile war die Distanz zwischen uns riesig geworden. Ich unterrichte bereits seit einigen Jahren. Sie hob ab und war auf einem anderen Planeten. Dort wollte ich aber nicht hin. Jeder Mensch hat einen anderen Weg. 

„Du musst dir das so vorstellen; es ist wie eine Zwiebel schälen oder eine Schlange, die sich häutet. Ist die alte Schicht runter, geht es von neuem los und du beginnst wieder.“
„Wann hört es dann auf?“
„Ich weiß es nicht, aber wenn ich es wüsste, wäre ich erleuchtet.“
„Dann also“, sagte ich spaßhalber.
„Wahrscheinlich!“
Sie meinte es ernst. 

Meditation war für mich lange Zeit „nur“ ein Entspannen, später ein Ordnen und ein Beruhigen des Geistes und nach noch längerer Zeit dann eben auch mentale Arbeit. Mittlerweile halten sich beide Komponenten in Waage. Jeder Tag ist anders. Jedes 

Mal ist es anders. Manchmal schwieriger, manchmal leichter. Nicht anzuhaften, im Jetzt zu sein. An mir selbst zu arbeiten, um all das unnötige Drama zu lassen, mehr einfach Ich sein, ohne übertriebenes Ego, und eins mit dem was gerade ist. Meditation ist nicht einfach. Das hat L. mir schon ja vor Jahren erklärt. Aber immer einen Versuch wert. Viel später habe ich es erst verstanden. Mal schauen wohin mich das noch führt. Mal schauen was heute passiert. 

Verbindungen 

„Es werden Dinge kommen, die du nicht möchtest!“
„Wie im Leben!“
„Ja, nur, du kannst dir die Dinge ansehen, sie betrachten wie sie sind und dann lässt du sie irgendwann los.“
Wenn es nur so einfach wäre. 

Am Ende meiner Yogastunden, bevor ich meine Schüler:innen ins Shavasana überlasse, muss ich oft an L. denken. „Wenn die Gedanken kommen, schenkt euch ein Lächeln, schiebt sie in der Vorstellung wie mit einer Handbewegung an den Rand eures Bewusstseins und kehrt zurück …“ Dann lasse ich sie alleine losziehen. 

„Etwas hat sich verändert!“, sagt L.
„Ich bin auf dem Weg.“
„Gut, ich hab’ dir Metta geschickt!“
„Danke, kann ich gut gebrauchen!“
„Du weißt, Schritt für Schritt.“
„Ja, ich weiß, man kann nichts überspringen. Auch wenn ich es gerne würde.“
„Es gibt kein zurück mehr, und das ist gut! Ich geh’ auch noch immer weiter und weiter. Es ist grad wieder ziemlich hart.“
„Trotzdem, gute Reise!“
„Ja, dir auch, ich hab’ dich …“
Die Verbindung ist wieder einmal abgebrochen. Sie lebt schon seit drei Jahren in Thailand auf einer Insel.

Etienne Thierry

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