Hundstage   

Es ist kompliziert. Der Winter dauert immer zu lange. Für viele. Der Frühling bringt zwar im März plötzlich fast dreißig grad, nur um dann wieder in einen kurzen aber heftigen Winterschlaf zu verfallen, um dem Obst von der Wachau bis in die Südsteiermark gründlich zu zeigen, was er alles kann, und dann kommt er nicht mehr in die Gänge und überfordert uns bis Juni mit Regen, den wir uns Monate davor alle so sehnlichst in Form von Schnee gewünscht haben. Es ist wie verhext, könnte man sagen. Man kann es uns aber auch nicht recht machen. Und dann schaut man drei Sekunden nicht hin, bringt Ostern und die gefühlt tausend Feiertage im Mai hinter sich, vielleicht mit kleinen Kurzurlauben, Workshops und Retreats von Südfrankreich über Sizilien bis Marokko, Flugscham ade, und plötzlich ist er da, der Sommer. Aber dann so richtig. Hoch. Heiß. Hundstage. 

Kühlsysteme 


Jeden Sommer sind wir überrascht, wie heiß es plötzlich werden kann, und es ist ohnehin aufs Neue so warm wie noch nie, bestimmt, die Rekorde purzeln hingegen das ganze Jahr, leider, aber hauptsächlich in den Sommermonaten wirken viele plötzlich undankbar, sind unleidlich, finden es unzumutbar, hassen die Hitze, die wirklich unerträglich sein kann, vor allem, wenn die Temperaturen in der Nacht nicht und nicht mehr unter zwanzig Grad sinken wollen, und stöhnen nur mehr in der Hoffnung auf die nächste kühlere Periode oder einen Sprung ins kalte Wasser. Besonders in der Stadt kann die Hitze ziemlich belastend werden. Wir können leider nicht die ganze Zeit im Freibad oder an der Donau verbringen, geschweige denn haben wir alle neun Wochen Urlaub, noch können wir uns durchgehend an einen See, ans Meer oder in die Berge verzischen. Es muss aber auch nicht gleich der Kostenvoranschlag für eine Klimaanlage in den eigenen vier Wänden her, und auch wenn ich die Vorteile nicht klein reden mag, so blasen wir eigentlich nur noch mehr heiße Luft ins Freie. Individuelle Entscheidungen. 



Unser Körper hat zum Glück ein eigenes Kühlsystem, das, sofern man gesund ist, gut funktioniert. Es ist aber nicht cool. Schwitzen ist unbeliebt. Außer in der Sauna. Es ist paradox und das Leben, wie gesagt, kompliziert. Schwitzen tut aber gut. Wer schon mal nach einer schweißtreibenden sommerlichen Yogastunde, mit Hunden die hinauf und hinunter hecheln, im Shavasana gelegen ist, weiß wovon ich hier spreche. Auf Asanas, die kühlend bzw. beruhigend wirken, komme ich ein anderes Mal zu sprechen, und immer passend im Sommer ist auch eine Yin-Yogastunde. (Lies mehr dazu im Artikel über Yin Yoga.) 

Sitali/ Sitkari 

So weit muss es aber nicht kommen, denn vielleicht hat die eine oder andere Person keine Kraft und Energie sich auf Grund der Hitze auch noch mehr zu bewegen als es notwendig ist. Pranayama kann Abhilfe in Form von Kühlung verschaffen. Und man braucht sich dazu nicht einmal wirklich bewegen. Sitali ist eine sehr wirksame Atemtechnik. Und zwar so: Zunge an den Seiten einrollen, durch den Mund und die eingerollte Zunge einatmen, den Mund dann schließen und den Kopf leicht senken (Jalandhara Bandha) und – nur für in Pranayama erfahrende Praktizierende – ca. drei bis fünf Sekunden Atempause (Antara Kumbhaka), gefolgt vom Ausatmen der warmen Ausatemluft durch die Nase mit leisem Ujjay-Ton. Das Ganze drei bis zehn Minuten (oder höchstens 17 Mal – fragt nicht, woher die Zahl kommt) wiederholen.1 Dann am besten noch ein Shavasana hinten dran, optional, und glücklich sei, wer sich eine Siesta erlauben kann, dann ist auch der Süden im Kopf nicht mehr weit. Als Variation, für diejenigen, die das Zungenröllchen anatomisch oder aus anderen Gründen nicht verfügbar haben, bietet sich Sitkari an: die Abfolge ist gleich der von Sitali, nur die Zunge behält hierbei die Form, ihre Spitze wird zwischen die Zähne nach vorne geschoben und die Lippen sind dabei leicht geöffnet. 

Bei genauer Betrachtung, muss ich lachen, das Bild eines Hundes kann einem schon in den Sinn kommen und man könnte fast glauben, dass der Begriff Hundstage von diesen Atemtechniken herrührt, und nicht vom heliakischen Aufgang des Sirius, sprich dem Erscheinen des Sternbilds „Großer Hund“ Mitte Juli, was heutzutage nicht mehr zutrifft. Andere Geschichte. Smiley mit zwinkerndem Auge. Obergescheites Smiley mit Brille auf der Nasenspitze. Sitali und Sitkari beruhigen und kühlen, wenn sie richtig und eine ausreichende Zeit ausgeführt werden, das ganze System, aktivieren die Leber und die Milz, und verbessern die Verdauung und nehmen den Durst. So viel zur Theorie. Und wie schaut’s in der Praxis aus? Also außerhalb der Yogaklassen. 

Heiße Nächte …  

Ich bin mal wieder zu spät dran und weiß auch nicht, wie die Verspätung dieses Mal zustande gekommen ist. Ich werde es auf die Hitze schieben. Jedenfalls radle ich zügiger als die letzten Monate durch die dreiunddreißig Grad heiße Luft, tangiere die Innenstadt, ignoriere im Fahrtwind geflissentlich mögliche Hitzehotspots mit Saharatemperaturen, und um halb neun abends erreiche ich den Donaukanal, von dem wir uns Sommerfrische erwarten. In Form von Wind, Wasser und kühlenden, ok, gekühlten Drinks. Ich überquere die Brücke und freue mich die Rampe hinunter sausen zu können, doch denkste, die Abfahrt wird zum Slalom, und unten geht so gut wie gar nichts mehr, Schritttempo kurz vor dem Umfallen und die Luft steht. Ich steige ab, das Lokal noch weit. Die Verspätung summiert sich auf fünfundvierzig Minuten. 

… südlich von Palermo  


Ich kann den Gesprächen der anderen, nachdem sie ihren Unmut über mein Zuspätkommen kund getan haben, nicht folgen, weil ich ausrinne und gleichzeitig mit den 
Plastikstühlen verschmelze. Ich hätte mir das Duschen sparen können, überlege, wie blöd ich mir genau vorkäme, würde ich jetzt die Zunge einrollen und Sitkari praktizieren, und gleich darauf, wie gesundheitsschädlich wohl ein Sprung in den Kanal wäre und dass die Seine ja mittlerweile auch wieder zum Schwimmen geeignet ist. Ich bin kurz davor es zu riskieren, also Sitali, nicht den Sprung, als Ulli zu Tine und mir sagt, dass er die Temperaturen unglaublich geil findet. Ich frage mich, ob er einen Sonnenstich hat, dann merke ich, wie ich neidisch auf Getränke der beiden starre, da der Kellner meines in der Hitze des Gefechts irgendwie nicht zu bringen scheint, außerdem werde ich mehr und mehr zu einem beliebten Ausflugsziel für Gelsen. Die andern sind dafür dankbar. Ich strecke die Zunge dezent mal nach vor für Sitkari und dann stoppt mich der nächste Satz von Ulli. „Ich halte das Wetter in Mitteleuropa nicht aus! Der Winter ist viel zu lang und der Sommer zu unbeständig, ich möchte in den Süden ziehen. Auswandern. Nicht Sizilien, weiter südlich! Nur milde Temperaturen im Winter, so wie ein Sommer in England früher war.“ Ich klemme die Zunge zwischen den Zähnen vorne ein und atme langsam mit leicht geöffnetem Mund. So muss ich nicht antworten. Er hat wohl den Klimawandel kurz mal vergessen. Ich schließe einen Moment die Augen. Mir ist wirklich langsam etwas weniger heiß und ich beruhige mich, auch innerlich. Egal ob vom Schwitzen oder der Atemtechnik. Die Gelsen und blöde Blicke ignoriere ich so gut es geht. Und dann kommt auch das kalte Getränk. Dog days are over. Meistens doch schneller als einem lieb ist. Wie bereits gesagt, das Leben ist komplex und Geschmäcker unterschiedlich. Und das ist gut so! 

Etienne Thierry


1 Bei extrem niedrigem Blutdruck sind diese Techniken kontraindiziert, sowie für manche Frauen während der Menstruation und, selbsterklärend, im Winter. 

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