Manipura   


Sie meldet sich einfach nicht. Liv. Eine meiner besten Freund:innen. Wir haben uns das letzte Mal physisch vor einem Jahr gesehen. Immer kommt irgendwas dazwischen. Gesundheit. Oder eher Krankheit. Dienstplan. Böser Dienstplan. Familie. Kind. Basteln für Geburtstagsfeiern von anderen Kindergartenkindern. Das Wetter. Das Wetter. Die Migräne deswegen. Die Zeit im Monat, zweimal innerhalb von zehn Tagen gleich. Sie hat vergessen, dass sie mir das schon erzählt hat. Einmal ist schlimm genug, finde ich. Der Ex. Immer wieder Probleme mit dem Ex.

Jeder dieser Gründe hat seine Berechtigung und ich verstehe alles. Man kann mir sogar kurz vor einem Treffen absagen (bevor beide sich auf den Weg machen würden), auch einfach weil man mal keine Lust hat. Kein Problem. Ich bin entspannt deswegen. Und möchte umgekehrt auch diese Freiheit. In dieser über ein Jahrzehnt dauernden Freund:innenschaft hat das lange gut funktioniert. Wir haben dann eben stundenlang telefoniert, zu Zeiten, wo das Kind schlief, der jeweilige Partner schlief, oder auch nicht, beim Einkaufen, beim Putzen, was auch immer, wann auch immer, am Weg wohin auch immer. 


Skinned kees and heartbreaks  



Die Schlange zeigt es mir jetzt. So richtig. Und dabei ist sie noch nicht einmal in Fahrt. Sie ist weiter hochgestiegen. Ich habe mich auf dem achtgliedrigen Pfad völlig verloren. Ich will mich konzentrieren. Und schaffe nicht mal Pratyahara. Meine Gedanken, meine Gefühle gehen mit mir durch. Ich bin nicht in der Mitte angekommen, die sich aber lautstark bei mir meldet. Ich bin verletzt. Ich bin wütend. Ich bin traurig. 

Ich rufe Liv in regelmäßigen Abständen an, manchmal erwische ich sie zufällig, wir reden kurz, angebunden, oberflächlich, meistens jedoch erreiche ich sie nicht, wir schreiben daraufhin kurz, sie vertröstet mich und redet von dann und später, was nie eintritt, wenn sie gesund sei, oder das Kind, wenn dieses oder jenes Event vorbei sei, der Dienstplan so oder so, wenn dies oder das. Es passiert nie.

Meine Anrufe und Nachrichten werden mit der Zeit weniger und irgendwann höre ich ganz auf. Und warte. Das ist vier Monate her. In dieser Freund:innenschaft ist das eine Ewigkeit. Ich weiß, ich sollte es ansprechen. Ich traue mich nicht. Sie schießt gern scharf und ich will dem aus dem Weg gehen. Außerdem weiß ich nicht, was der Grund ist, ich weiß ja nicht, was in ihrem Leben im letzten Jahr passiert ist. So zweifle ich. Und verschiebe alles auf morgen. Nein, viel später in die Zukunft. Und beginne die Schuld bei mir zu suchen. 


Solarplexus  


Die Schlange ist gnadenlos. Ich kann es nicht beeinflussen. Ich kann es mir nicht aussuchen. Das Tempo ist auch unveränderlich. Ich kann es nicht beschleunigen, verlangsamen oder gar stoppen. Ich soll das alles sehen. Ich muss es sehen. Die Schlange meint, das muss sein. Sie lacht. Glaube ich. Ich bin mir nicht sicher, will die Augen verschließen. Sie sind zu. Ich sehe trotzdem alles. Und als Draufgabe, darf ich auch alles spüren.

Hier bin ich. Die Schlange hat mich hinein gestoßen. Hat die dritte Platte angezündet. Es ist heiß in der Mitte. Solarplexus. Ich sehe den Schmerz. Das Gefühl ist nicht schön. Bei weitem nicht.

Manipura. Der Sitz der Gefühle. Dieses Chakra hat für mich eine besondere Bedeutung. Daher arbeite ich auch viel damit. In meinen Yogaklassen und mit mir selbst, natürlich in Bezug auf meine Emotionen, die mich oft überwältigen, und ich nicht weiß, wohin damit, oder was zu tun ist, wenn sie mich wieder mehr kontrollieren als ich sie, wenn mir die Kraft ausgeht, ich meine Ziele aus den Augen verliere, oder meine Augen davor verschließe, weil ich es nicht wahrhaben will. Und ja, auch nach vielen Jahren der Arbeit, Yogalehrer:in hin oder her, gibt es Situationen, wo dies passiert. 


Im Sturm   


Egal wie groß der Dreck gerade war, der Liv und mich überfordert hat, oder drohte uns aus der Bahn zu werfen, wir haben uns unsere Dramen erzählt, egal welches grade anstand, und meistens waren es dann keines mehr, über kurz oder lang. Wir konnten auch Kritik aneinander üben. Feedback geben, klingt schöner. Das hat mir nicht immer gefallen. Im ersten Moment. Ihr auch nicht. Aber so war das ausgemacht. So habe ich mich auch vor einem Jahr getraut, eine Kleinigkeit anzusprechen. Es erschließt sich mir deswegen nicht, warum sie mir nicht sagte wie immer, was ihr nicht passt. Warum sie mir nicht ins Gesicht fuhr, mit verbalen Krallen, wie immer. Warum sie mir nicht davon erzählt. Von irgendwas. Warum diese Distanz da ist. 


Gelb ist eine meiner Farben. Das war schon als Kind so. Solar. Die Kraft der Sonne, die einem Energie gibt. Diese Macht für etwas und nicht um bzw. über. Das ist der wichtige Unterschied. Aus der Mitte heraus aufspannen. Ich sinke tiefer hinein. Schaue genauer. Nicht alles gefällt mir. Nach einer Praxis, während der Mediation ist mir auf einmal einiges klarer. Ja, ich bin nicht in meiner Mitte, aber gerade Mitten drin. Im Sturm. 


Lieber Schluss machen   



Ich möchte diese Freund:innenschaft retten, kitten, wieder hinkriegen. Ich weiß nicht, ob sie das auch will. Vielleicht passt sie für Liv einfach nicht mehr. Das kann ja durchaus sein. Sollte diese Freund:innenschaft zu Ende sein, dann muss ich das wohl schweren Herzens akzeptieren. Aber ich möchte eine ehrliche und aufrichtige Reaktion von ihr: mit einem klaren Cut, einem klärenden Gespräch oder wenigstens mit einer erklärenden kurzen Ansage. Ich will ein „Schlussmachen“, nicht mehr „geghostet“ werden und diese Freund:innenschaft nicht einfach so ausschleifen lassen. Und vor allem mir nicht ständig den Kopf zerbrechen, was ist, oder was ich falsch gemacht habe. 


Die Platte am Solarplexus brennt stark. Emotionen peitschen mich hin und her. Dann ist es plötzlich still. Ich bin im Auge. Nicht am Rand. Wenn ich raus will, muss ich wieder durch den Sturm. Erst dann kann man die Sonne sehen. 

Etienne Thierry

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