
The lions sleeps tonight
Du liegst im Gras. Es ist warm. Weich. Wiegt sich im leichten Wind, der über die Ebene streift. Über dir der blaue Himmel. Du liegst unter einem Baum. Am Fuße des Berges. Die Sonne blinzelt immer wieder durch die Blätter. Sie bewegen sich sanft. Die Strahlen wärmen dich. Du schließt die Augen. Du bist eine Löwin. Ein Löwe. Du bist stark und mutig. Jetzt darfst du entspannen. Mittagsschlaf. Wie alle großen Katzen. Du bist locker. Gelöst. Du brauchst dich vor niemandem zu fürchten. Du bist eine kraftvolle Löwin. Ein kraftvoller Löwe. Von allen geachtet. Du kannst loslassen. Das Gras trägt dich. Gähne einmal kurz wie diese große Katze. Das Maul ganz weit aufreißen. Und dann atme ruhig und langsam weiter. Bleib einen Moment liegen. Vertraue auf deine Kraft. Alles ist gut.
Entspannen wie ein Löwe
Am Ende der Yogastunde. Mit Kindern von sechs bis neun, vielleicht zehn Jahren. Gerade sind wir noch wie Tiere in der Graslandschaft herumgehüpft. Jetzt liegen alle Kinder für zwei, drei Minuten wie die Großkatzen herum. Entspannen. Die Eltern sind beruhigt. Und ich atme durch. So zumindest war mein Plan. Das hat nicht so funktioniert.
Kinderyoga ist eine wunderbare Sache. Die Freude der Kinder an der Bewegung. Die Glücksmomente in der Wiederholung. Die Neugierigkeit, die Offenheit für Neues. Der riesige Spaß an Winzigkeiten. Die großen Augen und Ohren bei den kürzesten Geschichten und kleinsten Gesten. Unbezahlbar. Mitgeliefert bekommt man gratis ihr direktes Feedback, ohne dass sie dieses Wort in den Mund nehmen würden. Sie zeigen sofort, ungefiltert, was sie mögen und was nicht, was sie anstrengend finden und was leicht, was lustig für sie ist oder langweilig. Zumindest bis zu einem gewissen Alter.
Kinderyoga
Es ist nicht meine erste Stunde mit Kindern. Ich bin es gewohnt, dass es chaotisch beginnt und zugeht. Zuerst gekreischt wird. Geweint, weil Mama, manchmal Papa oder die Bezugsperson den Raum verlässt. Geschrien, um Aufmerksamkeit zu bekommen. Gekichert, weil nervös, oder jemand mit dem Mund oder sonst einem Körperteil komische Geräusche macht, oder aus tausend Gründen. Gelacht, weil, ja, es einfach nur so lustig ist. Alles erlaubt. Alles gut. Dann geht’s erst los. Austoben. Rennen. Springen. Schütteln. Das ist Programm. Noch vor der eigentlichen Stunde, die keine ist. Fünfundvierzig Minuten können für Kinder unglaublich lange sein. Für Erwachsene in Zeiten wie diesen übrigens auch. Danach wird’s konkreter, ruhiger. Armschwingen. Rekeln. Lautes Ausatmen. Mit „Haaa.“ Wir kommen alle an.
Best laid plans …
Die besten Pläne, wie eine Einheit für Kinder aussehen könnte, sind oft nutzlos. Das ist meine Erfahrung. Pläne geben natürlich ein Sicherheitsgefühl für uns Unterrichtende, um nicht planlos in diese Höhle der Löw:innen zu geraten. Wenn man Glück hat, machen alle mit und mensch kann sich ungefähr an den geplanten Ablauf der Yogastunde halten. Vielleicht gelingt das auch, wenn man sehr unbeirrt und starr ist beim Unterrichten – hierbei bleibt jedoch die Frage, ob das Durchziehen des eigenen Programms wirklich sein muss und ob die Kinder dann überhaupt gerne mitmachen, bzw noch einmal kommen wollen. Geschmacksache. Abgesehen davon, sind Pläne dann auch eher für die Eltern. Wenn sie genau wissen wollen was passieren wird.
Wir starten mit den Asanas. Ich verwende stattdessen das Wort Übungen. Die Kinder stellen eine Ferse auf den anderen Knöchel. Manche höher. Sie werden ein Baum. Welcher? Ich sage Nadelbaum. Tanne, genau genommen. Hände hoch, wer kann. Dann ein Berg. Sie sagen Hallo zur Sonne. Und dann werden wir auch schon zu einem Klappmesser. Oder Falthandy. Je nachdem. Danach steigen wir zurück und sind auch schon lustige Hunde, die nach unten schauen. Gerne mal ein Bein zum Pinkeln heben. Das kommt immer gut an. Dann das andere. Danach legen wir uns auf den Boden. Egal wie. Bleiben tierisch und werden eine Kobra. Das Bild ist nicht allen klar. Ich erkläre was eine Kobra ist. Ein Raunen geht durch die Menge. Dann sind wir wieder ein Hund.
Eltern am Rande des …
Die Erwachsenen, die Zeit haben, und/oder es schön finden, dabei zu sein, alle sind willkommen, auch jene, welche die Kontrolle nicht abgeben können. Diese sind leicht zu erkennen, stehen am Rand des Raumes, mit glänzendem Ehrgeiz in den Augen, ob ihr Nachwuchs sich eh nicht blöd anstellt, denn eigentlich ist ihr Kind sowieso das talentierteste Wesen auf der ganzen Welt, oder mit glühender Strenge im Blick, ob ich mich nicht blöd anstelle und mein Talent auch richtig für die Zwerge einsetze, damit diese die besten überhaupt werden. Hallo Helikopterflug. Die Szenerie bietet aber auch viel. Ich habe mir eine Reise überlegt, als Bewegungsabfolge. Indische Graslandschaft. Berg. Baum. Brücke über einen Fluss. Das kommt aber erst später. Hauptsache besonders viele Tiere. Katzen. Kühe. Krokodile. Und ein ganzes Rudel Hunde.
Zoo Station
Zur Auflockerung zwischendurch gibt es Herumspringen wie Affen. Gefolgt von Elefanten und deren Rüssel, eine Hand an der Nase, der andere Arm durchgefädelt. Wir stehen in einer breiten Grätsche und versuchen mit dem Armrüssel, Wasser aus dem Fluss zu trinken. Das macht ganz viel Spaß. Daraufhin gibt’s noch mehr Ks. Kobra wieder, lasse den Namen aber weg. Kamel. Und sogar die Krähe probieren wir. Annähernd. Es sind eher Hasen. Hockend, die Hände auf der Matte, hopsend, die Beine und den Hintern in die Luft schmeißend, hüpfend. So sieht es aus. Dann wird’s ruhiger. Schmetterlinge. Es flattern die Knie. Auf den Bauch. Heuschrecken. Ich sage Libellen, das erklärt sich leichter, die übers Wasser schweben. Arme und Beine heben, von sich strecken. Wie Flügel. Und schon wird’s nochmal kurz wilder. Wir werden Löw:innen. Wir fauchen ein bisschen. Reißen die Augen und den Mund weit auf. Zunge raus. Brüllen wie die Großkatzen Diese Asana kommt am besten an. Ein paar Mal wiederholen und schon sitzen wir. Vermeintlich ruhig auf den Matten. Beziehungsweise drumherum, dazwischen und darüber hinaus. So genau geht das nicht. Endlich. Fast das Ende. Die Erwachsenen atmen erleichtert aus. Dann hätte ich laut Plan meine Geschichte über die Siesta der Großkatzen erzählt. Die Eltern redeten vor der Stunde von Entspannung im Sitzen. Oder Liegen. Da musste ich lachen. Innerlich.
Kinder an die Macht
Ich verstehe das natürlich. Ausgetobte, entspannte Kinder. Das ist für einige das Ziel. Doch die Ruhe mag nicht einkehren. Die Erwachsenen schauen nervös auf die Uhr. Ihre Telefone. Von wegen Vorbild. Oder besorgt, weil keines der Kinder still ist. Ich lasse mich nicht beirren und die Kleinen auf dem Rücken schaukeln. Wie umgedrehte Käfer. Hände umarmen die Knie. Wieder die Frage nach der Art. Ich sage Mist oder Marien. Sie kichern. Bei der Ankündigung der abschließenden Geschichte über die indische Savanne, eben zur Entspannung, rutschen sie ganz nahe an meine Matte, sind aber voll aufgekratzt. Sei ein Schwamm. Saug die Ruhe auf. Sitzen im Stillen. Das funktioniert nicht. Nicht dieses Mal. Die Kinder diskutieren nämlich darüber, wer von ihnen nun bei mir auf der Matte sitzen darf. Ich habe das nie vorgeschlagen. Und weiß auch nicht, warum das plötzlich Thema ist, wie ein Preis. Es kommt aus dem Nichts. Sie waren ohnehin, wie ich das generell von Kinderyogastunden kenne, nie allein auf einer Matte, wenn überhaupt, dann eher zu zweit oder dritt. Und nun wollen sie alle auf meine. Das soll mensch mal verstehen. Aber so bleibt es spannend. Und bevor es zu kleinen Streits kommt, improvisiere ich. Suche kurz Lösungen im Kopf. Mir fallen andere Insekten ein. Bienen. Ich mache sie zum Schwarm. Lasse alle auf meine Matte. So gut das eben geht. Der Bienenstock. Und dann summen wir wie die Honigsucher. Die Augen geschlossen. Hände auf den Ohren. Brahmari. Sie finden es großartig. Die Erwachsenen auch. Und ich, ich bin erleichtert, dass es funktioniert hat. Dieses Mal. Wer weiß, was ich mir beim nächsten Mal einfallen lassen muss. Ich werde improvisieren. Und freue mich drauf. Alles ist möglich. Die Eltern können durchatmen. Und die Löwinnen und Löwen sind zufrieden auf meiner Matte und summen bis zum Ende. Wie Herbert schon gesungen hat. Die Welt gehört in Kinderhände.
Etienne Thierry
INFOS Ausbildung Kinderyogalehrer*in
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