Younger now – Diversität

„Ist der Kurs nur für ältere Generationen?“
Ich brauche eine Sekunde bis ich die Frage richtig verstehe. „Nein, komm rein!“
Die junge Frau steht im Türrahmen zum Yogaraum. Einige Matten sind bereits verteilt. Drauf Menschen unterschiedlichen Alters. Aber anscheinend keine in ihrem. Eine Person hat ein paar Prisen Salz im Haar. Vielleicht haben andere diese gefärbt. Älter als zwanzig sind alle. Glaube ich zu erkennen.
„Ich weiß nicht, ob das der richtige Kurs für mich ist.“
„Das ist eine offene Klasse, wieso?“
„Naja, ich will … mich richtig bewegen.“
Ich versichere ihr, dass sie sich richtig bewegen wird, vielleicht nicht so, wie sie es meint, das sage ich nicht, dafür aber, dass sie natürlich auch wieder gehen kann, ich werde es ihr nicht übel nehmen. Sie zögert. Dann blickt sie auf ihr Telefon. Es wird hell. Sie hält es mir hin. Also doch, denke ich und halte das Plastikschild mit dem Code zum Scannen unter die Kameralinse.

This generation

Ein paar Tage drauf unterrichte ich Menschen die Yogalehrer:innen werden wollen. Sechzehn weiblich gelesene Personen, die wissbegierig all die Informationen des Ausbildungsmoduls aufsaugen. Nach der Praxis, schon themenspezifisch, am Morgen folgt nach einer kurzen Pause der erste Theorieteil. Um ein Gefühl für meine Teilnehmer:innen zu bekommen, beginne ich am ersten Tag mit einer für mich neuen Gruppe immer mit einer kurzen, Yoga-bezogenen Vorstellungsrunde. Ich will ein Gefühl für sie bekommen, einen ersten Eindruck, wenn man so will, der sich nicht auf das Äußerliche bezieht. Es legt falsche Fährten und es ist mir egal. Ich möchte auch nicht nach dem Äußeren beurteilt werden, nicht eingeordnet, schon gar nicht, kategorisiert werden nach Zuschreibungen zu einem bestimmten Alter oder, noch schlimmer, gleich einer ganzen Generation. Ich finde es schrecklich, dass man Menschen in Generationen einteilt, und dann behauptet, diese oder jene Generation sei so, weil … Und weiter: Dieser Mensch mag das, macht das, kleidet sich so, liebt das, lebt so, ist so, weil er dann und dann geboren ist, also dieser oder jener Generation angehört. Ernsthaft?

Change is a thing …

Im Laufe der Tage lerne ich meine Schüler:innen etwas besser kennen. Manche mehr, manche weniger. Über die Art wie sie sich bewegen, was sie mir erzählen, welche Fragen sie stellen. Meistens hat das mit Yoga zu tun. Mit manchen komme auch privat ins Gespräch. In der Teeküche, kurz bevor der zweite Theorieteil am Nachmittag losgeht, erzählt mir eine meiner Schüler:innen von ihrem Kampf mit dem Älterwerden. Ich bin kurz überrascht, als sie mir ihr Alter nennt, ungefragt, denn mir ist es immer egal, abgesehen davon machte sie für mich einen zwanzig Jahre jüngeren Eindruck. Wir reden über Menopause, Fake-Yogabodies auf Instagram, den Druck der Gesellschaft, generell, besonders auf Frauenkörper, etc., etc. Wir könnten Stundenlang weiterreden. Die Pause ist aber gleich vorbei und ich muss mich noch kurz vorbereiten. Später erfahre ich, dass eine andere Schüler:in ihre Tochter ist (der Nachname hat es mir nicht verraten) und ich bin das zweite Mal überrascht, denn rein von der Yogapraxis, den Bewegungen und der Art, wie sie angezogen und wie sie gesprochen haben, hätte ich keinen Unterschied gemerkt, aber auch keine Ähnlichkeit. Es ist mir einfach nicht aufgefallen. Ab dem Zeitpunkt sehe ich letztere. Alter ist (mir) eben nicht wichtig.

… you can count on.

Ja, es gibt Tendenzen, Moden, Trends, die mal mehr oder weniger von unterschiedlichen Altersgruppen genutzt, gefolgt, geliebt, gelebt usw. werden. Und natürlich gibt es Unterschiede zwischen älteren und jüngeren Menschen. Körperlich, mental, … Das brauche ich hier nicht aufschreiben. Alle aufgrund einer oder weniger Tatsachen immer gleich in eine Schublade zu stecken, ist jedoch nicht in Ordnung, finde ich. Schon gar nicht optisch.

Ich verstehe das menschliche Bedürfnis andere Menschen einzuteilen, einzuordnen, zu kategorisieren. Es schafft eine Art Zugehörigkeitsgefühl. Ein Einordnen von anderen bzw. auch sich selbst, um besser zu verstehen. Im besten Fall. Meistens ist jedoch eine Statusbestimmung. Konkurrenzdenken. Oder sogar Wettbewerb. Ein Ich-bin-besser, weil … Ein Ich oder Wir gegen die Anderen. Ich/wir habe/n recht. Die anderen liegen falsch. Das entspricht dem Gegengeil von dem was es bedeutet nach dem Prinzip des Yoga zu leben.

Was soll das?

Ageism geht in alle Richtungen, gegen alt, gegen jung, seit geraumer Zeit werden Generation gefolgt von Buchstaben dafür herangenommen. Ageism ist immer falsch. Altern betrifft uns alle. Machen wir es uns doch nicht noch schwieriger. Der Jugendwahn, die glattgebügelten Bilder auf Insta & co, mit oder ohne KI. Wie sollen wir uns da in der ungefilterten Realität nicht schlecht fühlen?

Viel wichtiger ist doch, dass wir nett zueinander sind. Respektvoll. Ich weiß, das ist vielleicht sehr einfach dahin gesagt, fast träumerisch, idealistisch, romantisch, esoterisch, naiv, whatever … if you don’t like it – mir egal – ich mag freundliche, nette Menschen, egal wie alt sie sind.

Übrigens: die Schüler:in von oben hat geschwitzt, genauso wie die anderen, und sich am Ende für die Stunde bedankt und gesagt, dass sie sich sehr wohl gefühlt habe, in der Runde mit lauter älteren P… sie stoppte mitten im Satz, wiederholte: in der Runde, und machte einen Punkt.

Ich habe kein Rezept, wie man mit dem Altern umgeht. Mental. Wir können alle nur versuchen, die Tatsache zu akzeptieren, jeden Tag aufs Neue. Das ist möglicherweise ein unaufhörlicher Struggle. Mal geht es besser, mal schlechter. Auf körperlicher Ebene habe ich natürlich so meine Ideen, dieses Fass kann ich möglicherweise in einer anderen Kolumne aufmachen. Oder auch nicht. Worum es gehen könnte, richtig, das ist jetzt mal nicht so schwer zu erraten, als Yogalehrer:in mit einer Yogakolumne. Eins jedoch, vorab, für alle und immer:

Bleibt offen und in Bewegung.

Namaste.

Etienne Thierry

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